Y. N. Harari – Kurze Geschichte der Menschheit

Juhu, mal einen Spiegel-Bestseller gelesen – kommt sehr selten vor – oder besser gesagt angelesen, denn nach 100 Seiten hats mir gereicht.

Der Titel passt auf alle Fälle, Hariri schreibt eine Geschichte der Menschwerdung von den biologischen Anfängen der Menschenvorfahren über die Jäger-und-Sammler-Gesellschaften und die Sesshaftwerdung bis hin zu weis ich nicht, denn ich habs da abgebrochen. Das Ganze ist sehr kurzweilig, nach dem Anhang zu urteilen sehr ordentlich recherchiert, er vermittelt auf alle Fälle viel Wissen und bringt interessante Thesen (z.B. daß der Mensch deshalb so aggressiv gegen sich selbst vorgeht weil er sich am Anfang seiner Entwicklung irgendwo in der Mitte der Nahrungkette befand und durch Biologie und Technologie ganz nach oben gestiegen ist, den Schritt aber nicht „verkraftet“ hat).

Was mich aber massiv stört ist, daß er spekuliert, bzw. durch die Thematik zum Spekulieren gezwungen ist, daß aber nicht kenntlich macht. Wenn man das Buch ohne Reflektion hinnimmt würde man den Inhalt für die Wahrheit halten, es ist aber nur eine von vielen Möglichkeiten und halt seine Meinung die aus seinem heutigen weltbild herührt. Er glorifiziert zum Beispiel die Jäger-und-Sammler-Gesellschaft (kann man ja machen, freies, selbstbestimmtes Leben in kleinen Gruppen in der Natur fänd ich jetzt auch nicht das schlechteste) gegenüber den sesshaft gewordenen Gruppen mit teils hanebüchenen Argumenten bzw. unter Ausblendung der Vor- und Nachteile der jeweiligen Gesellschaften und da wirds mir schon n bischen zu bunt.

Abgesehen davon, daß ich seinen Stil nicht gut finde (kommt mir sehr arrogant und teilweise erzieherisch vor), passt der Mix einfach nicht, die Wissenschaft hinter der Evolution schreibt er schön locker flockig runter und ich kauf ihm auch sehr viel davon ab. Aber eigentlich ist das Buch wie der Titel andeutet eine Geschichte und Geschichten haben immer etwas fiktives. Und wenn ich eine Geschichte lesen will dann greif ich zu nem Märchenbuch oder nem Roman und da weis ich, daß ich mich in einem Erzählraum befinde. Dem Buch hier fehlt dieser Aufdruck, deswegen geb ich mal eine eingeschränkte Empfehlung, mit Filter zu lesen, dann bekommt man solides, kurzweilige Wissensvermittlung.

Hans Leister – Der Tunnel

Unterdurchschnittliches Buch, an der Schwelle zu schlecht – sorry.

Hans Leister ist von der Ausbildung her – wie ich – Wirtschaftsingenieur und war lange bei der Bahn als Zugführer beschäftigt. Der Tunnel ist sein Erstlingswerk und falls er das will kann er sogar eine Fortsetzung schreiben, das (ums höflich auszudrücken) bizarre Ende läßt das befürchten. Aber der Reihe nach.

Um die Story kurz anzureißen: Ein Zug mit 300 Leuten an Bord fährt in den Gotthardtunnel und mittendrin ist plötzlich Strom und Kommunikation weg. Später in der Story treffen die Zuginsassen noch auf Soldaten die ebenfalls im Tunnel eingesperrt sind weil draußen… ists düster. Und der Rest dreht sich dann um die Lösung des Rätsels. Oder nicht? Ich will nicht zuviel spoilern. Auf alle Fälle ist die Story interessant und auch gut geschrieben, Leister schafft es daß man dran bleibt und wissen will wies weitergeht. So, daß war das Gute an dem Buch.

Negativ, um nur 3 Sachen zu nennen sind seine Charakterentwicklungen, sein Stil und das Ende des Buches.

Das Buch ist aus mehreren Perspektiven geschrieben, was eigentlich ganz nett ist, aber Leister lässt sich viel zu wenig Zeit seinen Charaktern Eigenleben zu verpassen, die sind einfach nur blutleer und sie sind auch allesamt langweilig. Ich will keinen unfairen Vergleich machen aber wenn man das z.B. mit Jennifer Egan´s „A visit from the goon squad“ nebeneinander stellt ist da eine schriftstellerische Welt dazwischen. Aber gut, langweilige Charaktere gibts in vielen Büchern, muss ja trotzdem nicht schlecht sein.

Der Stil des Buches ist naiv und trocken, sehr trocken, so trocken wie Steine in der Atacama. Es ist teilweise eine Qual und wenn die Story nicht so interessant wäre hät ich es nach 20 Seiten weggelegt. An einer Stelle 50 Seiten vor Schluss hät ichs dann trotzdem fast getan, auch wenn die Story da so ziemlich auf dem Höhepunkt und die Spannung am größten war. Es gibt da einen Charakter der sich Sorgen um seine Familie macht die in einem Ort lebt der Brokoli oder so heißt (Gottseidank hab ich das mittlerweile aus dem Kopf) und in jedem seiner verdammten inneren Monologe dreht sich jeder zweite Satz um diesen gottverdammten Ort – was ein Riesensch… Unglaublich frustrierend. Für wie vergesslich hält mich der Autor? Denkt der ich bin blöd? Will er damit Dringlichkeit andeuten? Etwa Spannung erzeugen? Ich weis es nicht. Also für den Stil 2 von 10, höchstens. Kinderbücher oder von Kindern geschriebene Bücher könnten da noch drunter aber nur vielleicht.

Am problematischsten ist aber das Ende, bzw. die letzten 40 Seiten, da vergeigt er die ganze schöne Story… Das Ende ist, und das hab ich so noch nie gelesen oder in nem Film gesehen, halboffen. Kann ich jetzt schlecht erklären, da ich nicht spoilern will, aber es ist halt weder offen noch abgeschlossen. Und das funktioniert nicht, meiner Meinung nach. Entweder du lässt es offen, was die wenigsten machen, da es vor allem bei Gruselszenarios die Leser/Zuschauer eventuell verstört zurücklässt (mein absolutes Lieblings-Offenende ist die Kurzgeschichte „Der Nebel“ von Stephen King) oder du schliesst die Story ab um, naja deine Geschichte halt zu Ende zu erzählen (meine absolutes Lieblings-Geschlossenende ist die Verfilmung von „Der Nebel“. Wenn ihr euch das mal geben wollt dann folgendermaßen: Erst das Buch lesen, verstört sein, dann den Film schauen (eigentlich kann man den bis 10 Minuten vor Schluss vorspulen, ist halt nur n Standard-B-Movie mit Splatterkram) und dann bleibt euch aber mal richtig die Kinnlade unten – versprochen.). Ach, jetzt bin ich zu so was schönem abgedriftet und muss wieder zurück in den Tunnel. Also das Ende ist jedenfalls ganz großer Mist.

Ok, auf der Habenseite ist nicht viel, schwer interessante Story, interessante Erzählperspektiven und ja, das wars. Und halt n Haufen negatives. Also unterdurchschnittlich.

Ach weisste was?, ich spoiler jetzt die Story, da ich das Buch eigentlich nicht empfehlen will. Wers dennoch machen will sollte jetzt aufhören zu lesen, ciao.

Also ums kurz zu machen, in Tunnel geht wie gesagt das Licht aus, ein Nebenschacht des Tunnels führt in einen Versorgungsbunker der Schweizer Armee. Es kommt dann zu einem friedlichen Zusammentreffen der beiden Gruppen und die Soldaten erkunden draussen, finden aber nur Düsternis und Staub vor. Spätere Erkundungen zeigen eine total verwüstete Landschaft, viele Tote, wenig Überlebende. In Zug befindet sich eine Schulklasse die als die hellsten Köpfe im Buch dargestellt werden, deren Klassenlehrerin sich zur Führungsperson entwickelt, während sowohl die Zugführer wie auch die Soldaten mit 2 Ausnahmen als wenig handlungsfähige, nette Trottel dargestellt werden, von den Zugpassagieren mal ganz zu schweigen, wie gesagt die Charakterentwicklung ist total mies. (Der Hauptmann der Soldaten ist auch der mit den Sorgen um Brokoli. Mein Gott.) Naja, jedenfalls kommt eine Schülerin nach ein, zwei Wochen totaler Ratlosigkeit auf allen Seiten auf die Idee, das könnte ja ein Kometeneinschlag oder Supervulkanausbruch gewesen sein. Der Hauptmann der Soldaten denkt die ganze Zeit es ist Krieg, obwohl keine Radioaktivität messbar ist, jegliche Kommunikation zusammengebrochen ist und der Himmel ne Woche lang dunkel ist. Keiner der 300 Zugpassagiere oder 100 Soldaten kommt eher auf die Idee mit dem Einschlag. Absolut unglaubwürdig.

Das Ganze endet dann sehr unvermittelt weil der Tunnel von irgendwelchen marodierenden Typen mit Waffen angegriffen wird, wobei einer der sympatischen Soldaten ums Leben kommt. Ob der Angriff Erfolg hat, wies weitergeht ist offen, die Story endet nämlich an dieser Stelle… Das wär an sich kein schlechtes Ende, da Leister vorher so n bischen beschreibt wie sich die Leute auf n paar Jahre Finsternis und Leben im Bunker vorbereiten. Wie gesagt, das Szenario ist nicht schlecht, so (Post-)Apokalypse. Spannend auf alle Fälle.

Aaaaaber, es geht ja noch 40 Seiten weiter. Und zwar mit einem Sprung „viele tausend Jahre später“ wo sich auf dem afrikanischen Kontinent eine neue Zivilisation gegründet hat die zum Zeitpunkt der Erzählung etwa den technischen Stand vom ausgehenden 19. Jahrhundert hat und in der Schwarze über Weiße herrschen (ob das n interessanter Twist oder nur plumpe Effekthascherei ist? Weiß nicht, ich finds auf alle Fälle unnötig, aber das sind die letzten Seiten so oder so.) Naja, jedenfalls tischt er uns da ne nichtmal halbgare, hanebüchene Detektivkurzgeschichte auf, an deren Ende klar wird, daß sich inmitten von „Uropa“ Barbarenstämme auf eine Tunnelzivilisation von vor ewig langer Zeit berufen. *facepalm* Keine Erklärung was passiert ist, nur mystisches Geschwurbel über eine Mutterfigur (die, wie sollte es auch anders sein, die Klassenlehrerin ist) und Stämme die von einzelnen Schülern abstammen und die weise Intelligenzbolzin die als erstes den Geistesblitz mit der Dino-Ende-Analogie hatte. Selten so was an den Haaren herbeigezogenes, naives Zeug gelesen.

Also wenn ihr bis hierher gelesen habt, wisst ihr was ihr zu tun habt: Geht zum Buchhändler eures Vertrauens, kauft euch „Im Morgengrauen“ von Stephen King, lest darin „Der Nebel“, besorgt euch parallel die DVD, zieht euch das Ende rein und seid fasziniert, schockiert und begeistert, daß eine Geschichte euch so anfassen kann.


Wolfgang Schorlau – Stille Wasser

Wolfgang Schorlau ist der wahrscheinlich profilierteste deutsche investigative Schriftsteller. Bei seinen Werken fragt man sich immer wieviel davon Fiktion und wieviel davon Realität ist. Und da er sich auch keine kleinen Themen vornimmt sondern die großen Kaliber (RAF, Treuhand, Oktoberfestattentat oder wie hier Wasserprivatieierung) verarbeitet läuft einem schon manchmal ein Schauer über den Rücken. ‚Ne, das kann doch jetzt nicht… Das hat er sich aber schön zusammengereimt… Oder ist das etwa doch Realität?‘

In „Stille Wasser“ geht es primär als Detektivgeschichte um den Mord an einer Bundestagsabgeordenten und hintergründig um die Privatisierung der Wasserwirtschaft. Und bei letzterem Thema wird einem mal wieder Angst und Bange, da sich das alles wohl auch so in der Welt abspielt. Private Firmen kaufen die Stadtwerke weltweit, da die Kommunen chronisch klamm sind und aufgrund der neoliberalen Geschäftsordnung ja soundso nichts auf die Reihe kriegen, und dann wird alles dem Profit untergeordnet, koste was wolle, um den sozialen Schaden sollen sich dann eben jene Kommunen oder der Staat kümmern. Ach, es ist zum Kotzen.

Schorlau verpackt das alles hübsch in seine kleine Detektivgeschichte, relativ spannungsgeladen, gewaltfrei, gut zu lesen. Gutes Buch.


Roberto Yanez – Ich war der letzte Bürger der DDR

Hm, seltsames Buch mit dem ich nicht warm geworden bin. Wenn ich es mit einem Wort beschreiben müsste würde ich es ‚langweilig‘ nennen. Aber der Reihe nach.

Roberto Yanez heisst mit vollständigem Namen Roberto Yanez Betancourt y Honecker und ist der Sohn von Sonia Honecker, der Tochter von Erich und Margot Honecker, also der Enkel des langjährigen Staatsvorsitzenden und der langjährigen Kulturministerin (und wahrscheinlich der zweitmeisstgehassten Person nach Erich Mielke) der DDR. Das Buch ist eine anekdotenhaft erzählte Autobiographie, die hauptsächlich aus der dritten Person von Autor Thomas Grimm geschrieben ist. Und das ist schon mein erster Kritikpunkt. da diese Mischung aus Erzählung, Ich-Perspektive und Zitaten das Ganze sehr unrund wirken lässt und irgendwie an Glaubwürdigkeit verliert. Roberto Yanez bezsichnet sich selbst als Dichter, warum schreibt er seine Biographie nicht selbst aus der Ich-Perspektive? Versteh ich nicht.

Die Erzählweise ist eher semi-spannend, das Ganze haut einen nicht vom Hocker aber welche Autobiographie macht das schon? Die Anekdoten sind leicht verdaulich geschrieben und ganz gut erzählt, sodaß man die „Story“ relativ schnell in sich aufsaugen kann. Allerdings bleibt wenig hängen, obwohl sein Leben eigentlich ganz spannend ist. Als Kind in der DDR aufgewachsen, sein Vater ist Chilene der aus seinem Heimatland wegen der Pinochet-Diktatur geflohen ist. 1990, Roberto Yanez war da 16 Jahre, ist die Familie dann nach Chile gezogen, was schonmal ein ganz schön heftiger Bruch in einer Autobiographie ist. 3 Jahre später kommen dann die Großeltern nach, nicht ganz so freiwillig wie Robertos Eltern ausgereist. Roberto stürzt ab, hat Probleme mit Drogen, wird Künstler, heiratet, wird Vater und kümmert sich sehr um seine Großmutter Margot Honecker bis zu deren Tod 2016. Und so wie ich das verstehe ist das für ihn irgendwie eine Erlösung – auf dem Klappentext wird er zitiert mit „Der Tod der Großmutter war für mich der Fall der Mauer“. Erst damit ist für ihn das Kapitel DDR beendet, so stark muss ihr Einfluß auf ihn gewesen sein.

Und hier will ich mit meinem größten Kritikpunkt ansetzen: Es kommt mir viel zu wenig Kritik an den Großeltern. Erich Honecker hat den Schießbefehl an der Mauer zu verantworten und nie Reue oder Einsicht gezeigt, Margot Honecker war bis zum Tod eine überzeugte Kommunistin, die ebenso weder Reue noch Verantwortung für das Unrecht und Leid in der DDR übernommen hat. (Die Frage nach der Schuld ist eine andere, das ist juristisch komplizierter Stoff.) Beide waren der Meinung daß das was da ablief gut und richtig war, zumindest wird im Buch keine Gegengeschichte erzählt. Ich halte Roberto Yanez zu Gute, daß er als Enkel natürlich einen anderen Blickwinkel darauf hat (und das ist ja auch das spannendste an dem Buch) und das seine psychischen Probleme sicherlich auch irgendwie in seiner Herkunft begründet sind. Aber die Großeltern werden mir viel zu neutral dargestellt. Aber gut, er ist halt der Enkel und beschreibt die beiden menschlich als sehr familiär und gutmütig. Mögen muss man das nicht und bei mir erzeugt das irgendwie Unbehagen.

Das Buch ist wie gesagt ganz locker geschrieben und bezieht seine Spannung aus dem Einblick in die Privatsphäre von 2 der mächstigsten Personen der DDR ist mir aber viel zu lalala geschrieben.

 

Carlo Bonini – ACAB

Carlo Bonini ist italienischer Investigativjournalist und legt hier eine Mischung aus Dokumentation und Fiktion hin. Das Buch ist als Roman tituliert, vom Gefühl her scheint es aber wie eine Doku und ich denke mal er wird da einiges an Recherche reingesteckt haben. Es ist mehr oder weniger wie ein Episodenroman aufgebaut der lose um einen Hauptcharakter zirkuliert, der bei einer italienischen Spezialeinheit arbeitet die bei brisanten Fussballspielen oder dem G7-Gipfel in Genua zum Einsatz kommt, die Härtesten der harten Jungs sozusagen. Die Story hat letztlich auch einen Fixpunkt in eben jenem verhängnisvollen Gipfel bei dem ein Demonstrant von einem Polizisten erschossen wurde und mäandert sich dann zu Auseinandersetzungen mit Fussballfans. Das eigentlich „investigative“ Thema ist der Blick in das Innenleben eber jener Spezialeinheit, die von rechten Kräften, Machos und Schlägern unterwandert ist.

Großartigen Erkenntnisgewinn darf man hier nicht erwarten, das Buch ist auch nicht kontrovers oder aufrüttelnd sondern meiner Meinung nach eine rasant geschriebene Harte-Jungs-Story die sich aber nicht entscheiden kann ob sie Doku oder Roman sein will.

Kann man lesen, man hat aber nicht verpasst wenn mans nicht tut.

 

Tom Hillenbrand – Drohnenland

Schlechtes Buch – also mir gefällts überhaupt nicht. Hab auch nur bis Seite 100 gelesen und kann mir kein Urteil über die Story erlauben, aber der Stil geht mir einfach nur auf die Nerven.
Sicherlich hat Hillenbrand eine interessante Geschichte zu erzählen: Mord an nem EU-Politiker, Zukunftstechnologien (obwohl, was ist heutzutage visionär an selbstfahrenden Autos, VR-Umgebung, allumfassender Überwachung und predictive AI?) und n bischen Sherlock Holmes. Dem Ganzen fehlt die Spannung und die „Selbstgefälligkeit“ der Schreibweise ist einfach nur… gähn. Also wenn Hillenbrand einer der zukünftigen Stars am deutschen Romanhimmel ist, naja, dann ist das ein Genre auf das ich mich nicht einlassen will. Das Buch hat die Kategorie eines mittelmäßigen Tatorts – leicht verdaulich, aber nichts was hängen bleibt. Habs geschenkt bekommen und will nicht meckern. Schade drum.

Liberalismus

(Der Text ist zusammengeschrieben aus Beiträgen der Zeitschrift INDES 02/16)

Für viele ist Liberalismus heutzutage negativ konnotiert bzw. hat den Status eines Schimpfwortes. Nicht zuletzt kann man das an dem Wahlergebnis der FDP bei der letzten Bundestagswahl 2013 sehen oder an der Niederlage Hillary Clintons als Vertreterin des wirtschaftsliberalen Establishment gegen den Populisten Trump.

Dennoch halte ich die liberale Demokratie nicht nur für die beste aller Regierungs- und Gesellschaftsformen sondern denke auch, daß wir schleunigst eine gesellschaftliche Debatte über die Vor- und Nachteile einer freiheitlichen Gesellschaftsgestaltung in Abgrenzung zu autoritären Systemen benötigen.

Der Urliberalismus basiert auf den 3 Grundprinzipien individuelle Freiheit jedes Bürgers, Gleichheit vor dem Gesetz und Gerechtigkeit innerhalb er Gesellschaft; sein Ziel ist eine klassenlose Gesellschaft selbstständiger Bürger. Die beiden Grundströmungen aus denen er sich speist sind der Rationalismus (als Vorläufer sind hier Descartes, Spinoza und Leibniz zu nennen) und der englische Empirismus (Locke, Berkeley, Hume) unter dem generellen Einfluss des Protestantismus. Er enstand circa Ende des 17. Jahrhunderts als Antwort auf Relgionskriege, der Unterdrückung der Menschen durch Kirchen und Herrscher und nicht zuletzt durch ein aufstrebendes Unternehmertum weclhes sich durch die feualen Verhältnisse eingeschränkt sah.

Die Grundidee ist die Ersetzung von Alleinherrschaft durch die neutralen Elemente Recht und Markt. Der Staat garantiert hierbei die freie Entfaltung jedes Einzelnen solange er keinem anderen einen Schaden zufügt und der Markt sorgt mit seiner “unsichtbaren Hand” für eine gerechte Gesellschaft. Der Grundgedanke dahinter ist, daß sich eine Gesellschaft am besten entwickelt wenn jeder einzelne Bürger sich selbst frei bestimmt einbringen kann, seiner eigenen Kreativität folgend, durch Eigennutz seine Bedürfnisse mithilfe anderer deckt und nicht durch Uniformität in ein staatsseitig aufoktroiertes Muster gezwängt wird; Uniformität, das Nichtvorhandensein von Individuaität ist für liberale Denker auf lange Sicht gesehen der Tod jeder Gesellschaft.

Da er viele Angriffsflächen bietet wurde der Liberalismus seit seinen Anfängen Ende des 17. Jahrhunderts vielfach attackiert. Von den Kirchen, da er ihnen die Berechtigung abstritt in Philospohie und Wissenschaft der Gesetzgeber zu sein. Von der Romantik wegen seiner allein kühl rationalen (utilitaristischen) Auslegung des Individualismus. Vom Konservatismus wegen des Aufbrechens traditioneller Werte wie Familie, Glauben oder Heimatgefühl. Später vom Sozialismus wegen den durch den Kapitalismus verursachten erheblichen gesellschaftlichen Spannungen und Ungleichheiten. Und heute hat er sich als seine einzige noch bestehende Form, dem Neoliberalismus, so tief in die Wirtschaft und Politik durch alle Parteien (linke Parteien mal ausgenommen) verankert, daß vom Urliberalismus als eigenständige politische Strömung kaum noch etwas zu sehen ist.

Und es war schon immer das Grundproblem des Liberalismus, daß er als Zerstörer traditioneller, konservativer Werte wie Familie, Heimatgefühl, Glaube aufgetreten ist und an seine Stelle die individuelle Freiheit gesetzt hat. Nur ist die Freiheit ein Geschenk mit dem nicht jeder etwas anfangen kann, sondern eher nur Personen die ein eher sicheres, selbstbestimmtes Leben führen. Trotzdem kann man die Erfolge liberaler Ideen nicht wegdiskutieren: Demokratisierung, Grundrechte, Pluralisierung der Lebenswelten, Frauenrechte sind mehr oder weniger stark vom Liberalismus hervorgerufen worden. Beziehungweise wenn man es sich ganz einfach machen will kann man sagen, daß wir heute in der liberalsten Welt aller Zeiten leben.

Ein weiteres Spannungsfeld mit dem sich der Liberalismus auseinandersetzen muss ist das zwischen individueller Freiheit und innerer Sicherheit im Staat. Die Grundannahme, daß jeder Mensch sobald er materielle Sicherheit, soziale Einbettung usw. Geniesst, moralisch und sittlich ohne anderen zu schaden handeln wird ist zwar schön und gut aber auch naiv. Es wird immer Menschen geben, die in bestimmten Situationen auf Ihren eigenen Vorteil bedacht sind und eine Benachteiligung anderer in Kauf nehmen. Und die Fragen nach Massnahmen der Prävention, Strafverfolgung und Bestrafung müssen von jedem Liberalen anerkannt und ausdiskutiert werden.

Der Neoliberalismus hat die ursprüngliche Idee des Liberalismus mit seinen drei Säulen Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit nicht nur entkernt (und Freiheit durch Besitz ersetzt) sondern die Gesellschaft und Politik dahin geformt daß nur noch das Besitz- und Bildungsbürgertum bestimmt und profitiert während alles darunter (und damit meine ich die Mehrheit, weltweit und in der westlichen Welt) auf prekäre Lebensentwürfe schaut. Aber vielleicht ist es in der Idee des Liberalismus schon angelegt, daß das soziale Leitbild einer klassenlosen Bürgergesellschaft (die an sich schon fast utopisch zu nennen ist) sich zwangsläufig in eine Ideologie des Besitz- und Bildungsbürgertums umwandeln muss, zumindest hat es sich geschichtlich so entwickelt. Der Liberalismus war angetreten um die Rechte, Freiheiten und Möglichkeiten des Bürgerums gegenüber den hergebrachten feudalistisch-monarchistischen Strukturen zu erwirken und vor allem Gleichheit und Gerechtigkeit in der Gesellschaft durchzusetzen. Was dabei auf der Strecke blieb waren die Entwicklungsmöglichkeiten für die arbeitende Bevölkerung und die Unterschicht die sich ihre Rechte über soziale Parteien erkämpfen mussten. Schon deshalb hat das Liberale immer den Anschein gehabt nur für “die da oben” da zu sein und nicht für alle.

Was der Neoliberalismus auch geschafft hat ist den Begriff des Eigennutz ins Negative zu ziehen. Eigennutz hat usprünglich in der Ideengeschichte des Liberalismus einen hohen und vor allem positiven Stellenwert eingenommen. Nur durch Eigennutz entsteht Antrieb seine eigene Situation und damit die Situation anderer zu verbessern und nicht zuletzt funktioniert der Markt auch nur, wenn er moralfrei, sprich ohne Wohlwollen der einzelnen Marktteilnehmer ist (Allerdings kann der Markt laut Adam Smith moralischen handeln durchaus fördern, z.B. wenn dadurch Transaktionskosten gesenkt werden können.). Dies setzt natürlich sittliches, veantwortungsvolles Handeln voraus und liberales (und auch linkes) Denken geht davon aus, daß der Mensch als soziales Wesen eben nicht sich selbst Wolf ist (das ist eher konservatives Denken) sondern das Gemeinsinn und das Wohl der Anderen einen hohen Stellenwert einnehmen und zeitgenössische Studien zu behavioural economics zeigen, daß Menschnen nicht systematisch das tun, was in ihrem eigenen besten Interesse liegt. Der Neoliberalismus hat dagegen ökonomische Kosten-Nutzen-Kalküle zur Basis erfolgreichen menschlichen Handels gemacht und solches Verhalten muss mit Sittlichkeit oder Verantwortung gegenüber der Gesellschaft nichts zu tun haben, es ist die Reduzierung des Eigennutz auf Egoismus.

Wie gesagt, halte ich den Liberalismus und die liberale Demokratie für die beste Staats- und Gesellschaftsform, da sie die Freiheit und somit die Entwicklungsmöglichkeiten des Individuums in den Vordergrund stellt und gesamtgesellschaftlich gesehen die Potentiale der einzelnen Mitglieder am besten genutzt werden können.

Nur, wie soll es weitergehen mit dem Liberalismus? Es ist klar, daß die Durchdringung der westlichen Gesellschaften durch den Neoliberalismus nur zur freien Entfaltung einiger weniger Bevölkerungsgruppen geführt hat und auch in Zukunft führen wird. Ein Großteil der Bevölkerung wird schon allein durch finanzielle Zwänge an der Realisierung seiner Potentiale gehindert und wird in Lebensentwürfe gezwungen wo es nur darum geht im Hamsterrad zu laufen um seine Brötchen bezahlen zu können. Von den Abgehängten mal ganz zu schweigen.

In Deutschland sehe ich hier vor allem 2 Parteien in der Pflicht sich liberaler Positionen anzunehmen: SPD und Grüne. Die konservativen Parteien CDU/CSU und AfD befinden sich am anderen Ende des Spektrums, von diesen würde ich gar nicht erwarten, daß sie liberale Ideen aufnehmen. Die FDP muss endlich aufhören Liberalismus nur ökonomisch verkürzt zu sehen um eine Überlebenschance zu haben, aber die letzten Jahre unter Westerwelle und Lindner geben hier wenig Anlass zur Hoffnung. Bei den Linken sind liberale Ideen schon vorhanden, allerdings ist die Partei an sich zu heterogen als das diese Konsens sein würden. Die Linke ist allerdings die einzige Partei, die den Neoliberalismus ernsthaft in Frage stellt und damit auf den Kern des Problems zielt.

Es ist meiner Meinung nach unabdingbar, daß sich in Deutschland die SPD und die Grünen urliberaler und sozialer Ideen annehmen, vor allem der Frage der sozialen Gerechtigkeit. Es ist von beiden Parteien sicherlich zuviel verlangt wieder “links” zu werden (bzw. würde es zu weit führen genauer auszuführen welche linken Ideen durchaus schon vorhanden sind und welche hinzu kommen könnten), aber es sollte möglich sein zumindest die Idee der (sozialen) Gerechtigkeit und der Gleichheit (z.B. Minderheitenrechte, Integration) wieder tiefer zu verankern. Es ist z.B. zur Zeit nicht gerecht wenn Steuerfahnder die Steuerflüchtige finden sollen drangsaliert oder entlassen werden wärenddessen ein Arbeiter der aus freien Stücken seinen Job kündigt 3 Monate kein Geld vom Staat erhält. Ich würde von der SPD erwarten, daß sie solche Missstände klar anspricht und aktiv für deren Klärung eintritt bzw. solche Fragen zu einer Entweder-Oder-Frage für einen Koalitionsvertrag macht. Von den Grünen erwarte ich, daß sie sich noch stärker für soziale Gleichheit und Minderheitenrechte einsetzen (hier haben sie auf alle Fälle die besten Vorraussetzungen und eine Historie) und nicht eine Partei für alle sein wollen. Wie man zur Zeit sieht geht das mächtig schief und die Grünen könnten den Weg der FDP oder schlimmstenfalls der Piraten gehen, anfangs neu und originell, ein bischen Protest und am Ende beliebig, wankelmütig, weg von den Wurzeln, austauschbar.

Richard Morgan – Takeshi Kovacs Trilogie

Der Richard Morgan und sein Takeshi Kovacs, nun ja. Ich hab irgendwann mal das erste Buch “Das Unsterblichkeitsprogramm” in die Hände bekommen (ich vermute mal weil er dafür den Philip K. Dick Award bekommen hat und mich Science Fiction interessiert) und war wie weggeblasen. Auf meiner Liste der besten Bücher nimmt die Trilogie hinter “Ulysses”, “Herr der Ringe”, “Bleeding Edge” und vieleicht noch “Das Boot” einen der vorderen Plätze ein.

Die Bücher heissen in Reihenfolge “Das Unsterblichkeitsprogramm”, “Gefallene Engel” und “Heiliger Zorn” und sind vom Stil und der Qualität her mehr oder weniger gleich, sprich wenn man 50 Seiten irgendwo reinliest weis man was abläuft. Storytechnisch gehts aber nur vorwärts.

Die Story handelt von Takeshi Kovacs, einem Ex-Militär-Spezialagenten (man denke an eine Mischung aus James Bond, Jason Bourne mit der Skrupellosigkeit des T1000 aus Terminator 2) und spielt ein paar Jahrhunderte in der Zukunft. Die Technologie ist weit fortgeschritten. Es ist möglich das menschliche Bewusstsein auf einen Chip zu laden den man in einen x-beliebigen Körper einsetzen kann. Das bedeutet, daß ein Mensch im Prizip ewig leben kann. Ausserdem ist die Raumfahrt soweit, daß ferne Planeten besiedelt wurde. Und ach ja, eine ausgestorbene ausserirdische Rasse kommt periphär auch drin vor; die Marsianer, geflügelte, technisch ebenso fortgeschrittene Wesen, die aber wie gesagt ausgestorben sind.

Das erste Buch spielt auf der Erde wo Kovacs ein Spielchen unter den Reichen aufdeckt. Im zweiten Buch führt er eine Gruppe Wissenschaftler und Söldner auf einem kriegszerütteten Planeten zu einem marsianischen Artefakt und dort geht dann einiges schief. Im dritten Buch triift er auf seinem Heimatplaneten (den er nach Jahrhunderten mal wieder besucht) auf eine totgeglaubte Revolutionsanführerin und befreit diese mithilfe von alten Weggefährten aus der Hand der führenden Familie mit einem sehr, sehr spannenden Ende.

Lasst euch von den bunten Covern nicht täuschen. Die Bücher sind voller schnell geschriebener Action, gewaltätigen, mitunter brutalen Kampfszenen, kargen Dialogen, philosophischen Einschnitten über Gesellschaft, Freundschaft und das Leben generell und selten gibts es auch die eine oder anderen (explizite) Sexszene, alles in allem sehr harte Literatur, nichts für frohe Gemüter.

Ich bin mir nicht sicher warum ich die Bücher so faszinierend finde, aber ok, sie beinhalten Sachen die ich an Lieteratur mag, eine schnelle voranschreitende Story, kein großes Aufhalten mit sagen wir mal Landschaftsbeschreibungen, etwas Philosophie, eine ausreichende Charaktertiefe (ich brauche nicht unbedingt eine Lebensgeschichte oder psychologische Analyse jedes Schlägers, jeder Prostituierten oder jedes Reichen der im Buch vorkommt, mir reichen da Streotypen aus.), dazu addiere man noch das Sci-Fi-Setting, naja ok, dann kann trotzdem noch was schiefgehen, aber nicht hier, Morgan schafft es eine richtig gute Geschichte zu erzählen.

Es gibt nur eine Sache die mich beunruhigt und das ist das Erfreuen an oder zumindet die Hinnahme der gewalttätigen Beschreibungen. Ich mein, ich würde mich als recht friedfertigen Zeitgenossen beschreiben und mit Horrorfilmen kannst du mich jagen, aber hier ist es was anderes. Muss an der schriftlichen Form liegen – naja, irgendwie erschreckend halt.

Alles in allem, wenn ihr auf Science-Fiction-Geschichten steht und das oben gesagte euch keinen Schrecken einjagt dann gebt dem guten Richard ne Chance, ich verspreche ihr werdet nicht enttäuscht sein.

Philipp Winkler – Hool

„Hool“ ist Philipp Winklers Erstlingswerk und hat 2016 den aspekte-Literturpreis gewonnen, welcher jedes Jahr für das beste Erstlingswerk verliehen wird. Durch aspekte bin ich auch drauf gestossen und hab das Buch gelesen und war zwar nicht begeistert aber doch sehr zufrieden damit.

„Hool“ erzählt Episoden aud dem Leben von Heiko, einem Hooligan aus Hannover. Es handelt hauptsächlich von seinem Alltag mit Abgründen und der einen oder anderen lustigen Szene, dem Werdegang der Personen im Umfeld von Heiko und es gibt natürlich auch Szenen von Schlägereien mit Hooligans von gegnerischen Vereinen. Insgesamt gibt es wahrscheinlich einen guten Einblick in den Alltag und das Innenleben eines Hooligans, zumindest wurde berichtet, daß Winkler ausführlich für das Buch recherchiert hat (das Buch ist aber nicht autobiographisch, Winkler ist zwar Fussballfan und hat deswegen Einblick in die Hool-Szene ist aber keinesfalls selber einer).

Die Grundstimmung des Buches ist düster, es gibt kaum mal Stellen wo man lächeln oder gar lachen könnte. Heikos Leben ist eine Katasptrophe, zerrüttete Familie, kriminelle Freunde, Vermieter, Arbeitgeber; Drogen, kaum Lichtblicke (und wenn dann ist das eine gewonnene Schlägerei oder die Demoierung eines gegnerischen Busses), keine Hoffnung oder Zukunftsvisionen. Und obwohl man jetzt denkt, daß hier nur Klischees bedient werden, kauft man Winkler die Geschichte ab, also ich dachte mir zumindest, naja, so wird das schon sein. Das Buch zeichnet sich durch eine teilweise explizite Gewaltdarstellung aus, wird aber nie übertrieben brutal oder ergötzt sich seitenweise an ekeligen Beschreibungen, man muss es nie weglegen weil die Bilder im Kopf zu heftig werden.

Ok, warum kann man es trotzdem lesen? Erstens gibt es Einblick in eine Welt die man nur vom Hörensagen kennt und wo man z.B. nicht vermutet, daß es so etwas wie einen Ehrenkodex unter Hools gibt. Die Schlägereien im Buch finden immer organisiert statt, sprich 2 gleichstarke Hoolgruppen verabreden sich in abgelegenem Gebiet und prügeln sich. Wenn einer am Boden liegt wird nicht mehr auf ihn eingeschlagen, niemand wird gar getötet. Wir reden hier über Männer, für die Gewalt eine Ausdrucksform und Lebensinhalt ist und denen der Boxring nicht ausreicht, die sich prügeln bis die Nasen gebrochen sind und das Blut fliesst, Männer die sich für hunderte Euro angepassten Mundschutz kaufen, Männer deren Beziehungen zu Frauen sich nur auf Sex konzentrieren, längerfristiges geht zu Bruch. Und was während des Lesens passiert ist, daß man zumindest Mitleid wenn nicht sogar Verständnis für solch ein Leben entwickelt. Und sein wir ehrlich, daß es solche Existenzen gibt kann man nicht wegdiskutieren.

Der zweite Grund, weswegen ich das Buch schätze ist, daß es von Freundschaft und vom Abschied handelt, vom Abschied den jeder Mensch in seinem Leben (wahrscheinlich öfters) durchmachen muss. Bei mir war das z.B. der Abschied vom Studentenleben und der Übergang ins Arbeitsleben. Solche Übergänge sind schwer zu ertragen, besonders als Mensch in den 20ern. Tagesabläufe stellen sich um, Freundeskreise verändern sich, die eigene Zeiteinteilung wird auf den Kopf gestellt und die erwartungshaltung der anderen ist die, daß man doch gefälligst zu funktionieren hat. Winkler (selber Jahrgang 86, also 30 beim Schreiben des Buches) bekommt die Beschreibung dieser Gefühlswelt zumindest in der zweiten Hälfte des Buches exzellent hin. Heiko macht diese Transformation durch, hauptsächlich dadurch initiiert, daß sich seine Schlägerfreunde anderen Lebensinhalten (Familie, Beruf) zuwenden und er als Mensch ohne Halt und Inhalt zurückbleibt – und daran verzweifelt. Das Buch endet aber nicht mit Heikos Zerstörung, sondern…. Ne, lest mal selbst.

Feb 2017 Schulz

Na, da ist die SPD ja fast wieder wählbar geworden, bzw. hat seit Jahren mal wieder eine richtig gute Entscheidung was Führungspersonal angeht getroffen. Aber seien wir ehrlich, weiter bergab gehen konnte es ja kaum mit einer Partei der früher mal die Arbeiter, die kleinen Leute vertraut haben. (Zur Analyse wie es so weit kommen konnte sei hier auf das kleine, sehr feine Buch “Vorwärts oder Abwärts – Zu Transformation der Sozialdemokratie” von Franz Walter verwiesen – exzellente Analyse meiner Meinung nach).

Es ist natürlich auch klar, daß eine Schwalbe keinen Sommer macht und das derzeitige Hoch der SPD wird sich auch wieder relativieren. Dennoch bringt Schulz gegenüber dem bisherigen SPD-Vorsitzenden Gabriel 2, 3 Vorteile mit – er ist innenpolitisch nicht mit den Narben des derzeitigen Führungspersonals belastet, er ist den Deutschen als Streiter für das Gerechte in Europa bekannt (z.B. hat er kein Problem Politikern wie Berlusconi, Orban oder Erdogan die Stirn zu bieten; das kommt gut an) und er ist beliebter als Gabriel, auch wenn das keine große Kunst ist, und dadurch aber auch glaubwürdiger. Unter Gabriel hätten weniger Wähler der SPD einen Sinneswandel abgekauft den die Partei jetzt an den Tag legen muss. Und ich sage bewusst ´muss´ denn ein ´Weiter so´ kann sich die SPD nicht erlauben wenn sie nicht hinter der AFD landen will. Das bedeutet aber auch, daß die SPD Positionen beziehen muss und zwar linke Positionen, Unentschlossenheit oder Anlehnen an die CDU wird vom Wähler mit Bedeutungslosigkeit bestraft werden. Wenn Schulz wirklich mit der Prämisse antritt Kanzler zu werden geht das eigentlich nur mit Rot-Rot-Grün. Ich sage ´eigentlich´ weil die einzigen beiden anderen Möglichkeiten (große Koalition mit SPD vor CDU und Ampelkoalition) eher unwahrscheinlich sind aber wir wollen sie mal nicht ausser acht lassen, die SPD würde in diesen beiden Fällen natürlich selbstbewusster auftreten aber nicht unbedingt andere Politik machen. Aber realistisch ist nur RRG als Option wenn Schulz wirklich Kanzler werden will und so tritt er ja an wenn ich das richtig verstehe. Das wiederum bedeutet, daß wir einen schönen Lagerwahlkampf bekommen und darauf freue ich mich sehr, weil dann endlich mal wieder die eigentlich wichtigen Themen wie soziale Gerechtigkeit, faire Bezahlung, bezahlbarer Wohnraum, Regulierung der Finanzwelt usw. auf den Tisch kommen und wir nicht nur Flüchtlinge hier, Sicherheitspolitik dort, Obergrenzendebatten und Gelaber von Patriotismusscheisse haben werden. Endlich werden diese Themen mal abgeräumt, ich kann diese Lautsprecher und Giftspritzer aus der rechten Ecke nicht mehr hören. Sollen sie ihre 15% bekommen, bitte schön, aber den gesellschaftlichen Diskurs haben sie viel zu lange über Ihre eigentliche Rückendeckung beansprucht – gut jetzt, leiser drehen, danke.

Die SPD hat natürlich immer noch den Riesenrucksack auf, den Schröder damals gepackt hat und es wäre naiv zu glauben, daß die Agendapolitik rückgängig gemacht wird. Die SPD muss allerdings ihre Fehler einsiehen, Demut beweisen und das System reformieren, abschaffen wird sie es weder wollen noch können. Falls sie es dennoch verspricht wird der Schuss nach hinten losgehen. Ebenso naiv wäre es zu glauben, daß die ganzen Versprechungen die dieses Jahr gemacht werden auch umgesetzt werden, aber das Problem haben alle Parteien, einen Nichtpolitiker wie Trump, der auch das sagt was er ankündigt so unglaubwürdig es auch klingen mag, haben wir hier (Gott sei Dank) nicht, bzw. hätte so jemand in unserem Parteiensystem keine Chance überhaupt an die höheren Ränge aufzusteigen (na gut, ein paar Ausnahmen hat es da sicherlich schon gegeben, siehe Franz-Josef Strauss oder eben Gerhard Schröder obwohl der ohne den Seeheimer Kreis auch nicht soweit gekommen wäre).

Das Thema Koalitionsfähigkeit mit den Linken ist ein anderes Thema. Die SPD ist jetzt, mit Unterbechung von 2009 bis 2013, 8 Jahre lang kleiner Regierungspartner gewesen, da kann sich schon ein gewisses Phlegma einstellen was Kompromissfähigkeit angeht (überspitzt ausgedrückt: ´Egal was die CDU verlangt, wir machen mit, Hauptsache mitregieren´). Obwohl man solche Errungenschaften wie Mindestlohn und Mietpreisbremse nicht vergessen sollte. Als Wahlsieger, bzw. wenn RRG möglich ist, wird die SPD natürlich mehr Ansprüche stellen und ob die Linken dazu bereit sind, da hab ich doch Zweifel. Bei den Grünen wird das einfach, Göring-Eckardt und Özdemir würden Ihre Mutter verkaufen um mitzumischen, konservativ, links, rechts, liberal, die Grünen sind die Amöben, anpassungsfähig bis zum geht-nicht-mehr. Aber die Linke? Da gibt es sicherlich einige (wahrscheinlich trotzdem wenige) Positionen die zur Zeit unvereinbar mit der SPD sind, aber naja, mal schauen wenn sich die Fähnchen wirklich Richtung Sieg drehen ob sich da nicht auch Kompromissbereitschaft einstellt. Was ja schon mal gut ist, ist dass mit Schulz ein Mann an der Spitze der SPD steht, der die Linken nicht ablehnt so wie Schröder, Steinbrück und Gabriel das mehr oder weniger klar zum Ausdruck gebracht haben. Das Thema bleibt auf alle Fälle eines des spannendsten.

Also Martin, ich werd dich nicht wählen, da mir das linke Original lieber ist, aber trotzdem viel Glück auf deinem Weg, mach es, damit wir endlich die Konservativen los sind und soziale Themen mal wieder in den Vordergrund rücken. Schulz ist der richtige Mann zur richtigen Zeit, auf einen spannenden Wahlkampf.