Peter Wensierski – Jena-Paradies

Ein beeindruckendes, bedrückendes, geschichtshistorisch wertvolles Buch, geschrieben wie ein guter bis sehr guter Roman über die letzten Stunden im Leben eines jungen Mannes, der am Ende keinen anderen Ausweg als den Suizid sieht, um seiner Schuld zu entkommen, die ihm ein so brutal wie subtil agierender staatlicher Verfolgungsapparat methodisch vorgehend aufgezwungen hat.

Wensierski gelingt hier etwas außergewöhnliches. Er erzählt die Lebensgeschichte von Mathias Domaschk, der 1981 im Stasi-Untersuchungsgefägnis in Gera umgekommen ist, er hat sich erhängt. Das Buch hat die Stilistik eines Romans, er erzählt die letzten drei Tage im Leben von Domaschk, immer wieder durchzogen von Rückblenden aus Stationen seines Lebens, und das alles in einer sehr spannenden Form. Es ist auf der anderen Seite auch eine Biographie, am Ende des Buches hat man eine sehr klare Vorstellung vom Wesen und der Geschichte des Protagonisten sowie seiner Familie, seiner engsten Freunde und sogar von einigen seiner Peiniger und Verfolger hat man eine Vorstellung über deren Motive und Werdegänge. Und das ist auch der dritte charakteristische Punkt des Werkes – es ist ebenso ein Zeitdokument über Arbeit und Methoden der Stasi sowie den Lebensinhalten und Aktionen der von ihnen Verfolgten. Und das alles unter Nennung von Klarnamen!, minutiös über Jahre aus zahlreichen noch vorliegenden Dokumenten und hunderten Einzelgesprächen extrem aufwendig recherchiert – allein für diesen Aufwand gebührt Wensierski allerhöchsten Respekt. Es läuft einem während der Lektüre eiskalt den Rücken herunter, da man weis, daß sich das alles so abgespielt hat, es gibt hier keine Fiktion.

Das Bild, bzw. den Charakter und die Motive von Mathias Domaschk, die man während des Lesens gewinnt sind die eines selbstbewussten, geselligen, kulturintessierten, melancholischen jungen Mannes, der früh Vater wird, sich politisch engagiert und sich auch in den heißen, durch Einschüchterung von oben geprägten Phasen nicht von seiner Gesinnung und seinem Engagement für die friedliche Opposition in der DDR, genauer in Jena, abbringen lässt. Jemand, der seine jugendliche Energie mutig in kulturelle, pazifistische Opposition gegen einen unterdrückenden Staat kanalisiert. Seine Handlungen reichen von Unterschriftenaktionen mitorganiseren über Vernetzung mit Gleichgesinnten bis hin zu friedlichen Nacht-und-Nebel-Aktionen wie Transport von (aus staatlicher Sicht) strafrechtlich relevanten Dokumenten wie Bücher oder Unterschriftenlisten. Alles wie gesagt friedlich, ohne jedwede Absichten irgendjemandem Gewalt anzutun oder solche Aktionen zu unterstützen.
Und es ist extrem bitter und bestürzend zu lesen, daß die Menschen die eine solche Haltung, solche Motive hatten, die von Freiheit, in persönlicher und kutlureller Hinsicht, träumten und versucht haben die Träume umzusetzen – das solche Menschen vom Staat DDR nicht nur nicht geduldet, sondern verfolgt, mundtot gemacht wurden, in soziale Abseits gestellt wurden, eingesperrt und im Falle von Mathias Domaschk solchem Druck ausgesetzt wurden, daß dieser nur den Ausweg Suizid sah. Es ist extrem bitter und absurd – hierzu ein Zitat aus dem Nachwort des Buches: „Eine Akte hat mich besonders beeindruckt. Ein Stasi-Offizier schrieb über einen Jugendlichen in Weimar: Er setze sich ein für eine menschliche Gesellschaft in der DDR. Deshalb müsse er bearbeitet werden. Hat er die Absurdität seiner Notiz überhaupt bemerkt?“

Es gibt vermutlich einige Literatur, sowie den großartigen Film „Das Leben der Anderen“ über die Arbeit und Vorgehensweise der Stasi. Dieses hier zählt vermutlich zu den eindrücklichsten. Schwere Empfehlung.

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