Liberalismus

(Der Text ist zusammengeschrieben aus Beiträgen der Zeitschrift INDES 02/16)

Für viele ist Liberalismus heutzutage negativ konnotiert bzw. hat den Status eines Schimpfwortes. Nicht zuletzt kann man das an dem Wahlergebnis der FDP bei der letzten Bundestagswahl 2013 sehen oder an der Niederlage Hillary Clintons als Vertreterin des wirtschaftsliberalen Establishment gegen den Populisten Trump.

Dennoch halte ich die liberale Demokratie nicht nur für die beste aller Regierungs- und Gesellschaftsformen sondern denke auch, daß wir schleunigst eine gesellschaftliche Debatte über die Vor- und Nachteile einer freiheitlichen Gesellschaftsgestaltung in Abgrenzung zu autoritären Systemen benötigen.

Der Urliberalismus basiert auf den 3 Grundprinzipien individuelle Freiheit jedes Bürgers, Gleichheit vor dem Gesetz und Gerechtigkeit innerhalb er Gesellschaft; sein Ziel ist eine klassenlose Gesellschaft selbstständiger Bürger. Die beiden Grundströmungen aus denen er sich speist sind der Rationalismus (als Vorläufer sind hier Descartes, Spinoza und Leibniz zu nennen) und der englische Empirismus (Locke, Berkeley, Hume) unter dem generellen Einfluss des Protestantismus. Er enstand circa Ende des 17. Jahrhunderts als Antwort auf Relgionskriege, der Unterdrückung der Menschen durch Kirchen und Herrscher und nicht zuletzt durch ein aufstrebendes Unternehmertum weclhes sich durch die feualen Verhältnisse eingeschränkt sah.

Die Grundidee ist die Ersetzung von Alleinherrschaft durch die neutralen Elemente Recht und Markt. Der Staat garantiert hierbei die freie Entfaltung jedes Einzelnen solange er keinem anderen einen Schaden zufügt und der Markt sorgt mit seiner “unsichtbaren Hand” für eine gerechte Gesellschaft. Der Grundgedanke dahinter ist, daß sich eine Gesellschaft am besten entwickelt wenn jeder einzelne Bürger sich selbst frei bestimmt einbringen kann, seiner eigenen Kreativität folgend, durch Eigennutz seine Bedürfnisse mithilfe anderer deckt und nicht durch Uniformität in ein staatsseitig aufoktroiertes Muster gezwängt wird; Uniformität, das Nichtvorhandensein von Individuaität ist für liberale Denker auf lange Sicht gesehen der Tod jeder Gesellschaft.

Da er viele Angriffsflächen bietet wurde der Liberalismus seit seinen Anfängen Ende des 17. Jahrhunderts vielfach attackiert. Von den Kirchen, da er ihnen die Berechtigung abstritt in Philospohie und Wissenschaft der Gesetzgeber zu sein. Von der Romantik wegen seiner allein kühl rationalen (utilitaristischen) Auslegung des Individualismus. Vom Konservatismus wegen des Aufbrechens traditioneller Werte wie Familie, Glauben oder Heimatgefühl. Später vom Sozialismus wegen den durch den Kapitalismus verursachten erheblichen gesellschaftlichen Spannungen und Ungleichheiten. Und heute hat er sich als seine einzige noch bestehende Form, dem Neoliberalismus, so tief in die Wirtschaft und Politik durch alle Parteien (linke Parteien mal ausgenommen) verankert, daß vom Urliberalismus als eigenständige politische Strömung kaum noch etwas zu sehen ist.

Und es war schon immer das Grundproblem des Liberalismus, daß er als Zerstörer traditioneller, konservativer Werte wie Familie, Heimatgefühl, Glaube aufgetreten ist und an seine Stelle die individuelle Freiheit gesetzt hat. Nur ist die Freiheit ein Geschenk mit dem nicht jeder etwas anfangen kann, sondern eher nur Personen die ein eher sicheres, selbstbestimmtes Leben führen. Trotzdem kann man die Erfolge liberaler Ideen nicht wegdiskutieren: Demokratisierung, Grundrechte, Pluralisierung der Lebenswelten, Frauenrechte sind mehr oder weniger stark vom Liberalismus hervorgerufen worden. Beziehungweise wenn man es sich ganz einfach machen will kann man sagen, daß wir heute in der liberalsten Welt aller Zeiten leben.

Ein weiteres Spannungsfeld mit dem sich der Liberalismus auseinandersetzen muss ist das zwischen individueller Freiheit und innerer Sicherheit im Staat. Die Grundannahme, daß jeder Mensch sobald er materielle Sicherheit, soziale Einbettung usw. Geniesst, moralisch und sittlich ohne anderen zu schaden handeln wird ist zwar schön und gut aber auch naiv. Es wird immer Menschen geben, die in bestimmten Situationen auf Ihren eigenen Vorteil bedacht sind und eine Benachteiligung anderer in Kauf nehmen. Und die Fragen nach Massnahmen der Prävention, Strafverfolgung und Bestrafung müssen von jedem Liberalen anerkannt und ausdiskutiert werden.

Der Neoliberalismus hat die ursprüngliche Idee des Liberalismus mit seinen drei Säulen Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit nicht nur entkernt (und Freiheit durch Besitz ersetzt) sondern die Gesellschaft und Politik dahin geformt daß nur noch das Besitz- und Bildungsbürgertum bestimmt und profitiert während alles darunter (und damit meine ich die Mehrheit, weltweit und in der westlichen Welt) auf prekäre Lebensentwürfe schaut. Aber vielleicht ist es in der Idee des Liberalismus schon angelegt, daß das soziale Leitbild einer klassenlosen Bürgergesellschaft (die an sich schon fast utopisch zu nennen ist) sich zwangsläufig in eine Ideologie des Besitz- und Bildungsbürgertums umwandeln muss, zumindest hat es sich geschichtlich so entwickelt. Der Liberalismus war angetreten um die Rechte, Freiheiten und Möglichkeiten des Bürgerums gegenüber den hergebrachten feudalistisch-monarchistischen Strukturen zu erwirken und vor allem Gleichheit und Gerechtigkeit in der Gesellschaft durchzusetzen. Was dabei auf der Strecke blieb waren die Entwicklungsmöglichkeiten für die arbeitende Bevölkerung und die Unterschicht die sich ihre Rechte über soziale Parteien erkämpfen mussten. Schon deshalb hat das Liberale immer den Anschein gehabt nur für “die da oben” da zu sein und nicht für alle.

Was der Neoliberalismus auch geschafft hat ist den Begriff des Eigennutz ins Negative zu ziehen. Eigennutz hat usprünglich in der Ideengeschichte des Liberalismus einen hohen und vor allem positiven Stellenwert eingenommen. Nur durch Eigennutz entsteht Antrieb seine eigene Situation und damit die Situation anderer zu verbessern und nicht zuletzt funktioniert der Markt auch nur, wenn er moralfrei, sprich ohne Wohlwollen der einzelnen Marktteilnehmer ist (Allerdings kann der Markt laut Adam Smith moralischen handeln durchaus fördern, z.B. wenn dadurch Transaktionskosten gesenkt werden können.). Dies setzt natürlich sittliches, veantwortungsvolles Handeln voraus und liberales (und auch linkes) Denken geht davon aus, daß der Mensch als soziales Wesen eben nicht sich selbst Wolf ist (das ist eher konservatives Denken) sondern das Gemeinsinn und das Wohl der Anderen einen hohen Stellenwert einnehmen und zeitgenössische Studien zu behavioural economics zeigen, daß Menschnen nicht systematisch das tun, was in ihrem eigenen besten Interesse liegt. Der Neoliberalismus hat dagegen ökonomische Kosten-Nutzen-Kalküle zur Basis erfolgreichen menschlichen Handels gemacht und solches Verhalten muss mit Sittlichkeit oder Verantwortung gegenüber der Gesellschaft nichts zu tun haben, es ist die Reduzierung des Eigennutz auf Egoismus.

Wie gesagt, halte ich den Liberalismus und die liberale Demokratie für die beste Staats- und Gesellschaftsform, da sie die Freiheit und somit die Entwicklungsmöglichkeiten des Individuums in den Vordergrund stellt und gesamtgesellschaftlich gesehen die Potentiale der einzelnen Mitglieder am besten genutzt werden können.

Nur, wie soll es weitergehen mit dem Liberalismus? Es ist klar, daß die Durchdringung der westlichen Gesellschaften durch den Neoliberalismus nur zur freien Entfaltung einiger weniger Bevölkerungsgruppen geführt hat und auch in Zukunft führen wird. Ein Großteil der Bevölkerung wird schon allein durch finanzielle Zwänge an der Realisierung seiner Potentiale gehindert und wird in Lebensentwürfe gezwungen wo es nur darum geht im Hamsterrad zu laufen um seine Brötchen bezahlen zu können. Von den Abgehängten mal ganz zu schweigen.

In Deutschland sehe ich hier vor allem 2 Parteien in der Pflicht sich liberaler Positionen anzunehmen: SPD und Grüne. Die konservativen Parteien CDU/CSU und AfD befinden sich am anderen Ende des Spektrums, von diesen würde ich gar nicht erwarten, daß sie liberale Ideen aufnehmen. Die FDP muss endlich aufhören Liberalismus nur ökonomisch verkürzt zu sehen um eine Überlebenschance zu haben, aber die letzten Jahre unter Westerwelle und Lindner geben hier wenig Anlass zur Hoffnung. Bei den Linken sind liberale Ideen schon vorhanden, allerdings ist die Partei an sich zu heterogen als das diese Konsens sein würden. Die Linke ist allerdings die einzige Partei, die den Neoliberalismus ernsthaft in Frage stellt und damit auf den Kern des Problems zielt.

Es ist meiner Meinung nach unabdingbar, daß sich in Deutschland die SPD und die Grünen urliberaler und sozialer Ideen annehmen, vor allem der Frage der sozialen Gerechtigkeit. Es ist von beiden Parteien sicherlich zuviel verlangt wieder “links” zu werden (bzw. würde es zu weit führen genauer auszuführen welche linken Ideen durchaus schon vorhanden sind und welche hinzu kommen könnten), aber es sollte möglich sein zumindest die Idee der (sozialen) Gerechtigkeit und der Gleichheit (z.B. Minderheitenrechte, Integration) wieder tiefer zu verankern. Es ist z.B. zur Zeit nicht gerecht wenn Steuerfahnder die Steuerflüchtige finden sollen drangsaliert oder entlassen werden wärenddessen ein Arbeiter der aus freien Stücken seinen Job kündigt 3 Monate kein Geld vom Staat erhält. Ich würde von der SPD erwarten, daß sie solche Missstände klar anspricht und aktiv für deren Klärung eintritt bzw. solche Fragen zu einer Entweder-Oder-Frage für einen Koalitionsvertrag macht. Von den Grünen erwarte ich, daß sie sich noch stärker für soziale Gleichheit und Minderheitenrechte einsetzen (hier haben sie auf alle Fälle die besten Vorraussetzungen und eine Historie) und nicht eine Partei für alle sein wollen. Wie man zur Zeit sieht geht das mächtig schief und die Grünen könnten den Weg der FDP oder schlimmstenfalls der Piraten gehen, anfangs neu und originell, ein bischen Protest und am Ende beliebig, wankelmütig, weg von den Wurzeln, austauschbar.

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